Eines der beliebtesten Reiseziele in Namibia ist die UNESCO-Weltkulturerbestätte Twyfelfontein. Warum sich ein Besuch dort lohnt, erfahrt ihr im heutigen Blog.
Khorixas, der nächste größere Versorgungsort in der Nähe von Twyfelfontein liegt fast 100 km entfernt. Ein paar staubige Pisten führen durch die öde, aber faszinierende Landschaft hierher. Am Ende des Weges wartet ein einzigartiges Freilicht-Museum auf seine Besucher*innen, voller Kunstwerke steinzeitlicher Jäger- und Sammler*innen. Willkommen in der Weltkulturerbestätte Twyfelfontein! Willkommen in /Ui-//aes oder „Inmitten von Felsen“, wie die Nachfahren der Künstler*innen diesen sakralen Ort nennen. Ein Guide begrüßt euch und führt euch zu der geschützten Kulturstätte.
Die Ruinen von Twyfelfontein
Nach den ersten Metern dürstet es euch schon, um den Staub aus der Kehle zu spülen. Trostlos und warnend taucht vor euch eine Ruine auf. Ein erstes Zeichen von Leben und Verfall … aber hier? Hat tatsächlich jemand in diesem Steinbruch gewohnt und in dieser Wüste überlebt? Kaum vorstellbar, aber tatsächlich: Einst lebte hier die Familie Levin und die Ruine war ein kleines, einfaches Steinhäuschen ohne Strom und fließend Wasser. Wie viele europäischstämmige Pioniere jener Zeit hofften auch die Levins auf einen Neuanfang in der Ferne – auf einer kleinen Farm, die sie ihr Eigen nennen konnten. Hühner, Ziegen, Schafe, Pferde und Esel bewohnten mit ihnen die felsige Landschaft. Das Grün der Umgebung allein schien zum Überleben der Tiere kaum auszureichen.
Wasser war die große Herausforderung. Nur damit konnten die Levins den Trinkbedarf aller decken und kleine, bescheidene Anbauflächen für den Eigenbedarf einrichten. Eine spärlich fließende Quelle befand sich wenige Meter von ihrem modellierten Steinhaufen entfernt. Aber würde sie bis zum Beginn der Regenzeit genug Wasser liefern – Jahr für Jahr? Vermutlich hatte David, der Vater der Familie, deswegen zahlreiche schlaflose Nächte unter dem Sternenmeer im Schutze der Mopanebäume, bevor er mit dem Häuslebau begann. Heulende Schakale, bellende Geckos, das leichte Rauschen des Windes mögen ihn aber inspiriert und stark gemacht haben. Doch die Zweifel über die Zuverlässigkeit der Quelle blieben. So erhielt der Ort seinen Namen: Twyfelfountain – zweifelhafte Quelle.
Seine Frau überlebte die Strapazen nicht, starb jung mit 42. David aber blieb. Doch 1965 entschied die Apartheidregierung, hier ein Homeland für das Damara-Volk einzurichten. Damit endete das 1947 begonnene Projekt, denn Nicht-Damaras wie Levin mussten das Gebiet verlassen. Was sie zurückließen, verfiel.
Das Kunstmuseum nebenan
Hinter der Ruine tauchen schon bald die ersten Felsgravuren in den roten Sandsteinfelsen auf. Neben Darstellungen von menschlichen und tierischen Fußabdrücken seht ihr auch Tiere wie Nashörner, Elefanten, Strauße oder Giraffen. Unter den Felsüberhängen findet ihr mit rotem Ocker gemalte Motive menschlicher Figuren. Bis zu ca. 6.000 Jahren zieren diese Kunstwerke bereits das Gestein. Bemerkenswert, dass sie so gut erhalten sind.
Auch wenn diese Galerie antiker Kunst sich gleich nebenan der alten Levin-Stätte befindet, so dürfte die Familie nie den Künstlern begegnet sein. Sie waren nomadisch lebende Jäger- und Sammler*innen, die dem Volk der SAN angehörten. Über Tausende von Jahren streiften sie durch diese Gegend und dokumentierten auf den Felsen ihre natürlichen und spirituellen Begegnungen, Erfahrungen und Erlebnisse. Weiches Sandgestein wie hier in Twyfelfontein eignete sich gut für ihre Gravuren. Auf dem harten Granitgestein, wie zum Beispiel an der Spitzkoppe, verewigten sie ihre Zeichnungen. Für die Anerkennung dieses Ortes als Weltkulturerbestätte hebt die UNESCO als herausragendes Kriterium Folgendes hervor:
“Die Stätte bildet eine kohärente, umfassende und qualitativ hochwertige Aufzeichnung ritueller Praktiken in Bezug auf Jäger- und Sammlergemeinschaften in diesem Teil des südlichen Afrikas über mindestens 2.000 Jahre und veranschaulicht eloquent die Verbindungen zwischen den rituellen und wirtschaftlichen Praktiken …“
Einige Felsschnitzereien erinnern an Orientierungshilfen und Lehrmaterial für nachfolgende San-Gruppen. Darunter eine Art Landkarte, auf der Wasserstellen der Umgebung abgebildet sind, sowie eine Tafel mit menschlichen und tierischen Spurenbildern.
Twyfelfontein in Namibia: Geschütztes Weltkulturerbe
Levins Kinder dürften in den Felsen von Twyfelfontein sehr wahrscheinlich gerne gespielt haben. Wie respektvoll sie gegenüber den antiken Felsbildern waren, ist nicht überliefert. Sicher ist jedoch, dass das Land die Stätte 1952 zum Nationaldenkmal erklärte, weil es das besondere Kulturerbe gefährdet sah. Viele Besucher*innen sahen diesen Ort als eine beliebte „Take away“ Fundstelle. Doch der Denkmalstatus tat zunächst wenig für den Schutz. Vielmehr erhob es die Stätte zu einer Attraktion und lockte mehr Tourismus an. In den 1980er Jahren wurde die Gefährdung immer offensichtlicher: Vandalismus in Form von Graffiti, Fragmentierungen durch Versuche, Teile von gravierten Steintafeln zu entfernen sowie Verschleißerscheinungen durch unbedachtes Drauftreten.
Das neue, seit 1990 unabhängige Namibia entschloss sich, den Weg zur Anerkennung als Weltkulturerbestätte Twyfelfontein zu gehen. Damit gingen sie eine Selbstverpflichtung ein, alles Menschenmögliche zu tun, um diese in Stein gemeißelten Geschichtsarchive zu schützen: 235 Steinplatten mit 2075 deutlich identifizierbaren Zeichnungen und Gravuren im Kerngebiet sowie weitere Hunderte von Kunstwerken drumherum. 2007 war mit der UNESCO-Anerkennung ein Meilenstein erreicht.
Was macht die Weltkulturerbestätte Twyfelfontein so besonders? Seine Größe und Gravurtechnik
Wer die Spitzkoppe oder den Brandberg in Namibia kennt, die Tsodilo Hills in Botswana oder die Drakensberge in Südafrika mag schon eine Menge an San-Kunst gesehen haben. Doch diese Orte bestechen vor allem durch Felsmalereien. Die Motive sind aufgemalt nicht eingeritzt. Twyfelfonteins große Besonderheit ist dagegen die Gravurtechnik. Außerdem genießt Twyfelfontein durch seine Größe, Komplexität und den sehr guten Zustand der meisten Gravuren besondere Anerkennung und Bedeutung in der Felskunstforschung.
Die anzutreffenden Bilder stützen die allgemein bestehende Einigkeit der Felskunst-Forschung, dass die meisten dieser Werke nach dem Durchleben ritueller Erfahrungen entstanden. Beispiele hierfür sind Bilder mit Tieren wie Eland und Giraffe. Sie spiegeln eine besondere rituelle Bedeutung wider und zeigen Details, die rituelle Aktivitäten oder übernatürliche Transformationen repräsentieren. Aber keine Sorge: der Guide an eurer Seite macht für euch die Geschichte lebendig. Er oder sie zeigt euch einen exemplarischen Ausschnitt der Museumsgalerie, führt euch zum „tanzenden Kudu“ und dem Löwen mit dem rechtwinklig in die Höhe abgeknickten Schwanz.
Schatten gibt es dann erst wieder bei der Rückkehr ins gemütliche Besucher*innen-Zentrum. Eine kleine Bar mit verschlanktem, alkoholfreiem Angebot erwartet euch dort. Ebenso ein Souvenirshop mit Produkten lokaler Kunsthandwerker*innen. Interessant ist auch die komfortabel gehaltene Bilderausstellung im Foyer, die Einblicke in das Leben der Familie Levin bietet und die beeindruckenden Tiere der Gegend zeigt. Eure Zeitreise geht damit so langsam zu Ende. Aber was bleibt, ist eine vage Vorstellung davon, wie unsere Vorfahren in dieser Gegend der Welt gelebt haben und was ihnen wichtig war.
Von den beiden Welterbestätten Namibias ist Twyfelfontein die einzige von der UNESCO anerkannte Kulturerbestätte des Landes. Zurecht ein Grund, den Abstecher hierher durch die traumhaft schöne Landschaft zu unternehmen und sich von der Geschichte der Felsgravuren überwältigen zu lassen. Für Rückfragen und Unterstützung bei der Planung deiner Namibia-Reise stehen wir gerne bereit, egal ob auf einer geführten Tour oder einer Selbstfahrer*intour. Meld dich bei uns!